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Vom Leben der Gänse

06.11.2017

„Vom Leben der Gänse“

Aufklärender Artikel zum bevorstehenden Martini-Fest (11. November) mit flächendeckendem „Ganserl-Essen“ der deutschen Albert-Schweitzer-Stiftung:

Gänse sind gesellige Vögel. Sie kommunizieren mithilfe zahlreicher Laute und Bewegungen miteinander und erkennen sich individuell. Die Vögel lernen schnell und verfügen über ein gutes Gedächtnis. Wildgänse gehören zu den Zugvögeln und sind imstande, weite Strecken zurückzulegen. Domestizierte Hausgänse sind dagegen Weidetiere und flugunfähig, können aber dank ihrer kräftigen Beine täglich viele Kilometer laufen. Haus- wie Wildgänse haben darüber hinaus Schwimmhäute zwischen den Zehen und sind in der Lage zu schwimmen.

Hausgänse leben, während sie ihre Nachkommen ausbrüten und aufziehen, in kleinen Familiengruppen zusammen. Diese bestehen aus einem Ganter (männliche Gans) sowie mehreren weiblichen Gänsen und ihren Jungtieren, auch „Gössel“ genannt. Unter natürlichen Bedingungen können Gänse ein Alter von mehreren Jahrzehnten erreichen; Mast- oder Zuchtgänse werden dagegen schon nach wenigen Monaten oder Jahren getötet.

Leben in der Massentierhaltung

Gänse werden für die Erzeugung von Fleisch, Schmalz, Federn oder Fettlebern gehalten. In Deutschland konzentriert sich die Gänsehaltung vor allem in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bayern und Sachsen. 2016 schlüpften hierzulande etwa eine Million Gänseküken.

In Deutschland produzieren die Gänsehalter nur etwa 14 % des hier konsumierten Gänsefleisches. Der Großteil wird importiert: Im Jahr 2013 bezog Deutschland rund 24.500 Tonnen Gänsefleisch aus europäischen Ländern. Der größte europäische Gänseproduzent ist Ungarn; das Land exportiert vor allem Stopfleberprodukte. Polen liegt auf dem zweiten Platz und hat seine Erzeugung innerhalb der letzten Jahre enorm gesteigert. Weltweit ist China führend: das Land produziert knapp 95 % des weltweit erzeugten Gänsefleisches.

Haltungsbedingungen

In Deutschland (und Österreich) gilt die Europarats-Empfehlung zur Haltung von Hausgänsen aus dem Jahr 1999. Die darin enthaltenen Vorgaben sind zwar verbindlich, die Empfehlung als solche ist jedoch sehr allgemein formuliert. In Deutschland ist die Weidehaltung üblich, wenn auch fast immer ohne Zugang zu Bademöglichkeiten.

In Ungarn, Polen und Frankreich überwiegt hingegen die intensive Gänsehaltung. Große Tiergruppen von tausend Tieren und mehr leben dort in geschlossenen Ställen ohne Rückzugs- oder Ausweichmöglichkeiten. Zuweilen sind sogar Einzel- oder Gruppenkäfige üblich. Das häufig schlechte Stallklima führt zu Entzündungen der Atmungsorgane. Auch Spalten- oder Drahtgitterböden kommen zum Einsatz. Diese führen zu Befiederungsstörungen, Verletzungen und Beinschäden.

Mastverfahren

Es gibt drei übliche Mastverfahren, die sich vor allem in der Mastdauer unterscheiden. Allen Verfahren gemeinsam ist eine Phase der intensiven Fütterung. Die Schnellmast ist in Deutschland eher unüblich, es überwiegen die Intensiv- und die Weidemast.

Schnellmast

Die Schnellmast erfolgt innerhalb von acht bis zehn Wochen mit hochkonzentriertem Futter. Dieses Verfahren nutzt das intensive Wachstumspotenzial der Küken aus. Die verkürzte Mastdauer soll Futterkosten sparen. Die Tiere sind dabei meist in geschlossenen Ställen ohne Auslauf, Weidezugang oder Bademöglichkeiten untergebracht.

Die höchstens zweieinhalb Monate alten Junggänse aus der Schnellmast dienen der Erzeugung von Gänsebraten. Die Schlachtung erfolgt noch vor ihrem ersten Federwechsel (auch Mauser genannt) und damit vor dem frühestmöglichen Zeitpunkt der Federgewinnung. Federn fallen bei diesem Mastverfahren also nur als Nebenprodukt nach der Schlachtung an.

Intensivmast

Bei der 16-wöchigen Intensivmast nehmen die Gänse anfangs etwas langsamer zu; auf lange Sicht sollen die Tiere möglichst viel Brustfleisch ansetzen. Außerdem werden hier Federn bzw. Daunen gewonnen (siehe unten). Die Tiere leben entweder durchgehend in Ställen oder auf der Weide und werden dann abendlich zugefüttert. In den letzten vier Wochen vor der Schlachtung sind auch die Tiere aus der Weidehaltung in Stallungen untergebracht; dort haben sie aufgrund ihrer Größe häufig nur wenig Platz zur Verfügung.

Weidemast

Die Gänse leben in diesem Mastverfahren 30 bis 32 Wochen. Nach einer mehrwöchigen Aufzuchtphase im Stall ohne Auslauf werden die Jungtiere schrittweise an die Freilandhaltung auf der Weide gewöhnt.

In den letzten Wochen vor der Schlachtung erfolgt auch hier eine intensivere Mast. Die Gänse sollen ein Schlachtgewicht von etwa 7 kg erreichen und nehmen dafür insgesamt ca. 140 kg Grünfutter und etwa 28 kg Kraftfutter zu sich. Diese Mast dient vor allem der Erzeugung der sogenannten Weihnachtsgänse. Körperteile, die sich in Deutschland schlecht vermarkten lassen – etwa Füße, Flügel und Hälse – werden nach Asien exportiert.

Zucht und Vermehrung

Bei der Zucht von Gänsen steht wie bei allen wirtschaftlich genutzten Tieren die stetige Leistungssteigerung im Vordergrund. Der Fokus liegt auf hohen Zucht- und Mastleistungen sowie einer Federproduktion von 200 bis 300 g pro Tier und Jahr. Die Mastdauer läßt sich bei Gänsen allerdings kaum noch weiter verkürzen, da ihr Brustmuskelwachstum relativ spät einsetzt. Deswegen steht bei der Zucht eine immer effizientere Futterverwertung im Vordergrund. Seit einigen Jahren soll außerdem (den Wünschen der Konsumenten folgend) der Anteil der Bein- und Brustmuskulatur steigen.

Hybridzucht

Für die intensive Daunen- und Fleischproduktion verwendet man spezielle Zuchtlinien, also genetisch besonders ähnliche Tiere mit bestimmten Eigenschaften, wie die häufig eingesetzte „White Koluda“. Allerdings finden mittlerweile insbesondere Masthybride zunehmend Eingang in die internationale Gänseproduktion. Das sind Kreuzungen aus verschiedenen Hausgänsen und wilden Kanada- oder Graugänsen. Bei diesen Gänsehybriden unterscheidet man zwischen „Fleischtypen“ für die Mast und „Lebertypen“ für die Stopfleberproduktion.

Zunehmende Spezialisierung in der Produktion

Ebenso wie bei Hühnern und Puten ist auch die Gänseproduktion auf verschiedene Produktionsrichtungen spezialisiert. Es gibt Zucht- und Vermehrungsbetriebe, Brütereien sowie Mastbetriebe. Neben der natürlichen Begattung spielt die künstliche Besamung eine immer größere Rolle bei der Zucht und Vermehrung. Während die künstliche Besamung zunächst bei Zuchttieren mit Penisnekrosen oder Kloakenentzündungen zum Einsatz kam, nimmt ihre Bedeutung seit Jahren auch bei gesunden Tieren zu.

Spermagewinnung und künstliche Besamung

Für die Spermagewinnung ist eine sexuelle Stimulierung der Ganter mittels kräftiger Massage nötig. Um die Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten, werden die männlichen Tiere regelmäßig fachsprachlich „gemolken“. Das Sperma kann einige Stunden bis zur Besamung der weiblichen Tiere gelagert werden. Bei der Besamung wird die Gans an Flügeln Kopf und Hals fixiert. Der sogenannte „Inseminator“ führt das Besamungswerkzeug entlang seines Fingers in die Kloake ein, um das Sperma in den Geschlechtsapparat zu befördern.

Bei einer anderen Technik wird die Gans auf den Rücken gedreht. Dieses Verfahren belastet die Gänse noch erheblicher; sie zeigen während dieser Besamungstechnik außerdem einen häufigeren Kotabsatz, was das Risiko für Infektionen erhöht.

Eierproduktion

2016 wurden in Deutschland 1,5 Millionen Gänsebruteier produziert. Die Zuchtgänse legen die Eier zwar in Nester, dürfen sie aber nicht ausbrüten: das übernehmen vollautomatisierte Brutautomaten.

Die Zeit der Fortpflanzung bei Hausgänsen ist ebenso wie bei Wildgänsen saisonal, dauert jedoch deutlich länger. Um mehr Bruteier zu erhalten, verdunkeln einige Gänsezuchtbetriebe die Ställe für 20 bis 40 Tage. So versuchen sie, eine zusätzliche Legeperiode zu stimulieren. Da Gänse aber auf ihren ausgeprägten Sehsinn angewiesen sind, beeinträchtigt dieses Vorgehen deren Wohlbefinden stark. Davon abgesehen ist wissenschaftlich nicht bestätigt, daß sich lange Dunkelphasen tatsächlich auf die Fruchtbarkeit auswirken.

Stopfleberproduktion

Gänse haben die Fähigkeit, überschüssige Nahrung durch die Einlagerung von Fett in die Leber als Reserve zu speichern. Diese anatomische Besonderheit von Wasservögeln nutzt man zur Produktion von Stopfleber („foie gras“).

Für die Verfettung der Leber werden große Mengen Nahrungsbrei in die Mägen der Tiere gepumpt. Diese Prozedur müssen die Gänse etwa 16 bis 22 Tage lang zwei- bis dreimal täglich über sich ergehen lassen. Sie ist in Deutschland zwar verboten, die auf diese Weise hergestellten Produkte dürfen aber aus anderen EU-Ländern wie Frankreich oder Ungarn importiert werden. 2016 hat Deutschland knapp 64 Tonnen Stopfleber aus diesen Ländern importiert.

Feder- und Daunenproduktion

Die Federindustrie gibt an, daß ein Großteil der weltweit produzierten Federn und Daunen ein Nebenprodukt sei, das bei der Schlachtung von Mastgänsen anfalle. Es ist jedoch gängige Praxis, Federn und Daunen auch lebenden Gänsen zu entnehmen: Angaben der Federindustrie zufolge stammen beispielsweise 10 % der in Ungarn gewonnenen Federn von lebenden Gänsen.

Mastgänse können (außer in der Schnellmast) zwei bis vier Mal vor der Schlachtung der Federgewinnung dienen. Gänse in der Stopfleberproduktion werden meist vor Beginn der Zwangsfütterungsphase und Zuchtgänse insgesamt sogar bis zu 15 Mal in ihrem Leben zu diesem Zweck genutzt.

Mauser

Da Gänse zu den Entenvögeln gehören, mausern sie sich einmal jährlich und erneuern so ihr Federkleid. Jungtiere wechseln ihr Gefieder erstmals mit zehn Wochen und anschließend alle sechs Wochen.

Im Zuge der Mauser wird die Feder nicht mehr mit Blut und Nährstoffen versorgt. Sie ist nicht mehr fest in der Haut verankert und fällt aus, da sie von der nachwachsenden Feder verdrängt wird. Komplexe Hormonsysteme regulieren diesen Federwechsel und führen dazu, daß die Gänse in dieser Zeit streßanfälliger und empfindlicher sind.

Lebendfedergewinnung

Das Herauskämmen der reifen Federn während der Mauser, das sogenannte „Raufen“, ist in der EU erlaubt. Es wird behauptet, daß dieser Vorgang schmerzlos für die Tiere sei. Allerdings kann man dabei nur einen Teil des Gefieders ohne Schmerzen entnehmen, da die verschiedenen Federn zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Mauser reif werden. Zudem mausern sich die Vögel einer Herde nicht exakt zur selben Zeit. Werden den Vögeln dementsprechend unreife, noch durchblutete Federn aus der Haut gerissen, entstehen blutige Verletzungen der Haut und somit Schmerzen. Ein weiteres Problem ist der Zeitdruck beim Umgang mit den Tieren: In Großställen mit mehreren tausend Gänsen bleiben nicht mehr als sechs bis zwölf Minuten pro Gans. Somit kann bei der heute üblichen Vorgehensweise von einer leidfreien Feder- und Daunenproduktion keine Rede sein.

„Lebendrupf“

Noch problematischer als das „Raufen“ ist der sogenannte „Lebendrupf“: Das Rupfen (teils mittels Maschinen) geschieht unabhängig vom Zeitpunkt der Mauser und führt zu Hautverletzungen, blutenden Federscheiden und Schmerzen. Das Ausrupfen der Rückenfedern ist besonders schmerzhaft, denn dafür ist ein größerer Kraftaufwand nötig. Größere Wunden werden meist ohne tierärztliche Kontrolle und Schmerzmittel grob genäht. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) stuft das „Lebendrupfen“ als tierschutzrelevant ein, es ist in der EU eigentlich verboten. Dennoch ist diese Praktik in manchen europäischen Ländern wie Ungarn und Polen immer noch üblich.

Umgang mit den Tieren

Am Abend vor der Federgewinnung erhalten die Gänse kein Futter. Das soll verhindern, dass die Tiere aufgrund der belastenden Prozedur unkontrolliert Kot absetzen oder Nahrungsbrei erbrechen und das Gefieder verschmutzen.

Allein das Fangen und Festhalten ist eine erhebliche Streßsituation für die Tiere. Hinzu kommen immer wieder Mißhandlungen vor, indem etwa verbotenerweise die Vögel an Hals oder Flügel gepackt und getragen werden. Das kann zu schmerzhaften Fehlstellungen wie herunterhängenden Flügeln führen.

Wehren sich die Gänse aus Angst und schlagen panisch mit den Flügeln, biegt man ihnen den Kopf unter den Körper. So sind die Tiere wehrlos. Allein dieser Umgang mit den Gänsen führt schon vor dem Rupfen oder Raufen zu Angst, Streß, Verletzungen und Knochenbrüchen.

Beim Lebendrupf – aber auch beim Raufen – kann man davon ausgehen, daß die Gänse mit jeder Federgewinnung empfindlicher werden. Diese ansteigende Empfindlichkeit nennt sich „Wind-up-Phänomen“: Es kommt zu einem gesteigerten Schmerzempfinden, obwohl sich der Reiz, der die Schmerzen verursacht, nicht verstärkt.

Das Leid und die Schmerzen der Gänse beim lebendigen Rupfen und Raufen werden aus rein wirtschaftlichen Gründen in Kauf genommen. Die Tiere stehen so öfter zur Federgewinnung zur Verfügung und die Federn sind weniger verschmutzt.

Federgewinnung von toten Tieren

Die Federn, die nach der Schlachtung vom toten Tier gewonnen werden, gelten als qualitativ minderwertiger. Sie sind maschinell aus den Körpern gerupft, oft nicht reif und durch das Blut der getöteten Vögel verschmutzt, sodaß sie noch kostenintensiv zu reinigen sind.

Tierschutz-Themen: