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Fleischessen und Christentum

11.11.2020

dw.com-Interview: Sollte ein guter Christ auf Fleisch verzichten?

Einige feiern ihn als prophetische Stimme, andere treten seinetwegen aus der Kirche aus: Weil er den Verzicht auf Fleisch predigt, polarisiert der katholische Priester Rainer Hagencord nicht nur das Münsterland.

Rainer Hagencord kritisiert die Kirchen dafür, daß Tiere in der Theologie ausgeklammert werden. Laut Hagencord kann der Mensch auch in der Begegnung mit den Tieren Gott begegnen. Diese Sichtweise ist im Münsterland, das als Herz der deutschen Fleischindustrie gilt, mit Konflikten verbunden. DW hat mit Rainer Hagencord über Fleisch, Schuld und Moral gesprochen.

DW: In Deutschland werden jedes Jahr über 750 Millionen Tiere geschlachtet. Sie sagen, daß dies aus der christlichen Perspektive problematisch sei. Warum?

Hagencord: Als Theologe sage ich, daß unser System der industriellen Fleischerzeugung auf struktureller Sünde basiert. Wir dürfen nicht jeden Einzelnen beschuldigen, sondern müssen uns auf das System konzentrieren, das uns schuldig werden läßt. In diesem System verliert jeder: Unsere Erde, Luft, Tiere, Wasser, Biodiversität, der globale Süden, die Arbeiter. Die einzigen Gewinner sind die Fleisch- und Pharmaindustrie. Eine Theologie, die den Menschen als Krone der Schöpfung überhöht und die Natur zu einem Ressourcenlager reduziert, ist mitverantwortlich für diese ökologische Katastrophe.

DW: Die Ökologie spielt eine zentrale Rolle in ihren Predigten. Wie gehen Sie mit den Fleischessern in ihrer Gemeinde um?

Hagencord: Ich erlebe immer wieder, daß vielen Menschen das System der industriellen Tierhaltung mit diesen Ausmaßen nicht bekannt ist. Viele wissen immer noch nicht, daß der Regenwald abgeholzt wird, weil der Hunger nach billigem Fleisch in den Industrienationen nicht zu stillen ist. Und dann berühre ich natürlich die Schuldfrage. Wenn es um das System geht, bin ich genauso schuldig.

DW: Welches System meinen Sie?

Hagencord: Deutschlands größter Fleischproduzent Tönnies ist keine 30 Kilometer von uns entfernt. Und durch den Tönnies-Skandal war nicht nur das ganze Elend der Tiere präsent, sondern auch das Elend der Menschen, die als Sklavenarbeiter dort gehalten werden. Ich weiß von vielen Menschen, die durch ihre Arbeit krank und depressiv werden. Wenn ich mit Tieren so umgehe als seien sie Rohlinge der Fleischindustrie, verroht meine eigene Seele, etwas in mir verkümmert.

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