Stellungnahme zum geplanten deutschen "Tierwohllabel" 2019 zur Mastschweinehaltung
Von Tierärztin Dr. Karin Ulich, D-Sigmarszell
Zusammenfassung (die ausführliche Stellungnahme können Sie unter diesem link ersehen): Das vom deutschen Landwirtschaftsministerium für Herbst 2019 geplante 3-stufige Tierschutzlabel lehnen wir aus folgenden Gründen ab:
1. Nach unserer Einschätzung sind die Kriterien des Labels teilweise nicht mit dem deutschen und europäischen Tierschutzrecht vereinbar. Darüber hinaus steht die geltende Schweinehaltungs-VO derzeit durch eine Normenkontrollklage auf dem Prüfstand: Es ist zu erwarten, daß sie an das Tierschutzgesetz angepaßt werden muß. Das darf bei der Entwicklung von Label-Kriterien nicht außer acht gelassen werden.
2. Die systemrelevanten und zu Recht kritisierten Mißstände der intensiven Schweinehaltung werden sich auf freiwilliger Basis nicht beseitigen lassen. Das Label dient der Irreführung der Verbraucher.
3. Die dringende Aufgabe des Staates wäre die zielstrebige Beseitigung der wiederholt dokumentierten Widersprüche der gegenwärtigen Schweinehaltung zum Tierschutzrecht.
4. Steuergelder für die Bewerbung des Labels auszugeben halten wir für eine nicht legitime staatlich finanzierte Werbeaktion zugunsten der Schweinemast-Industrie. Das Geld sollte dringend als Grundstock für die Unterstützung von bäuerlichen Betrieben verwendet werden, die ihre Tiere gemäß dem Tierschutzgesetz halten wollen.
Hintergrund: Zahlreiche ethologische, tiermedizinische und juristische Gutachten und Studien kommen zu dem Ergebnis, daß die Schweinehaltungs-Verordnung dem im Grundgesetz § 20a sowie dem in der Präambel des Tierschutzgesetzes ausgedrückten ethischen Grundgedanken nicht entspricht. Sie widerspricht auch dem im Tierschutzgesetz §§ 1 und 2 zugesicherten Schutz der Tiere. Das hierzu im Auftrag von Greenpeace erstellte „Rechtsgutachten zur Frage der Vereinbarkeit der Haltungsvorgaben für Mastschweine mit dem Tierschutzgesetz sowie zur Zulässigkeit einer Verschärfung der Haltungsvorgaben“ (Rechtsanwälte Dr. Davina Bruhn und Dr. Ulrich Wollenteit) ist die jüngste umfassende Veröffentlichung zu dem Thema und dient als Grundlage für die von Berlin angestrengte Normenkontrollklage nach Art.93 Abs.1 Nr.2GG, §§13 Nr.6, 76ff BverfGG gegen die geltende Schweinehaltungs-VO, denn „Was das Gesetz verbietet, kann keine Verordnung zulassen.“ (Prof. Dr. Jens Bülte, NJW 2019)
Zweck des Tierschutzgesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, muß das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen und darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, daß ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden und Schäden zugefügt werden....“(§2 TierSchG).
Einschränkungen der artgemäßen Verhaltensabläufe, die zu den so genannten Grundbedürfnissen gehören, stellen somit einen Verstoß gegen §2 Nr.1 TierSchG dar.
Vor diesem Hintergrund sollen die folgenden Beispiele zu den Grundbedürfnissen die Defizite in den Label-Anforderungen aufzeigen:
Tageslicht: Ein zentraler Punkt in den Haltungsansprüchen von Schweinen ist das zur Verfügung stehende Tageslicht. Zu diesem wesentlichen Aspekt finden sich im Label keine Vorgaben.
Platzangebot und Buchtenstrukturierung: Liege-, Kot- und Futterbereiche (1 Freßplatz pro Tier) sind strukturell zu trennen. Allein daraus ergibt sich ein wesentlich höherer Platzbedarf, als in den Stufen 1 und 2 des Labels vorgesehen (20% bzw. 47% mehr Platz). Doch selbst das zusätzliche Platzangebot ermöglicht nicht eine Strukturierung der Buchten, wie sie im Kriterium „Buchtenstrukturierung“ gefordert wird. Die vorgeschriebenen Kriterien schließen sich gegenseitig aus.
Nestbaumaterial: Der Muttersau Nestbaumaterial in ständig verfügbarer Reichweite anzubieten, macht nur Sinn, wenn sie es entsprechend ihren Bedürfnissen verwenden kann, was die Käfighaltung der Sauen („Ferkelschutzkorb“) ausschließt!
Säugezeit: Die Stufe 1 unterbietet mit 25 Tagen sogar den zurzeit geltenden gesetzlichen Mindeststandard von 28 Tagen. Die Stufe 2 – 28 Tage - erfüllt ihn genau. Dem Sozialverhalten der Schweine wird erst Genüge geleistet, wenn die Ferkel einige Monate lang bei ihrer Mutter bleiben!
Kastration und Schwänze Amputieren: Beide Maßnahmen sind grundsätzlich verboten. Das Schwänze-Kürzen ist in der EU seit 1994 nur noch in Ausnahmefällen zu gestatten. Wie kann eine verbotene Maßnahme in einem Tierwohllabel (Stufe 1) akzeptiert werden?
Kontrollen: Eine Eigenkontrolle auf Verletzungen und die Gesundheit der Tiere, sowie die Funktion der Stalleinrichtung (Trinkwasser, Luft, Sauberkeit usw.) haben täglich im Rahmen der Fütterung zu erfolgen. Regelmäßige umfassende Kontrollen durch amtliche Tierärzte sind halbjährig durchzuführen. Es reicht nicht aus, die Tränken und Lüftung zu beurteilen!